Bericht aus der Münsterland Zeitung von Astrid Beckmann

Wenn die Heimat viele Tausend Kilometer entfernt ist
Der Schnee, die Lieder – alles neu
Priester Binish Arackal kam aus Indien nach Dülmen
Dülmen.
Fern der Heimat klingen die Weihnachtsglocken anders. Das weiß der indische Priester Binish Arackal sehr genau. Seit einigen Monaten arbeitet er als Seelsorger in der Dülmener St.-Viktor-Gemeinde. Letztes Jahr um diese Zeit büffelte er gerade Deutsch in der Bildungsstätte "Klausenhof" des Bistums Münster in Harnminkeln (Kreis Wesel).
Dort erlebte er zum ersten Mal in seinem Leben Schnee. "Ich bin rausgerannt und habe im Schnee gespielt wie ein Kind", erzählt der 35-Jährige. Er lacht. "Das werde ich in diesem Jahr nicht mehr machen, aber damals war das alles so neu für mich."
Binish Arackal kommt gebürtig aus dem Bundesstaat Kerala in Südindien. "Dort beträgt der Anteil der Christen "25 Prozent", erzählt der Sohn eines Bauern. Die "St.-Thomas-Christen" glauben, dass sie vom Apostel Thomas getauft wurden, es gibt sie seit dem Jahr 52 nach Christus. "In Kerala ist die Kirche sehr aktiv und dynamisch", sagt der Pfarrer. Über leere Kirchenbänke muss er sich dort keine Gedanken machen. "Die Kirche meiner Heimatpfarrei ist jeden Tag vollbesetzt. Und jeden Sonntag finden vier Heilige Messen statt." In der Schule wurde Binish Arackal, wie auch seine vier Geschwister von Priestern und Schwestem erzogen – sein Wunsch, selbst Priester zu werden, kam also nicht von ungefähr. Mit 15 Jahren ging er ins Priester-Seminar. Eine seiner Schwestern wurde Ordensschwester.
Wie verschlägt es nun einen indischen Pfarrer nach Dülmen? "Das war Zufall", sagt Pater Binish. Er gehört der Missionsgesellschaft des Apostel Thomas an. Der Orden wurde 1968 in Kerala gegründet und hat 320 Mitglieder. Ihre Aufgabe: "Missionieren, das Evangelium überall auf der Welt predigen". Mitglieder des Ordens arbeiten in Indien, Afrika, Brasilien, Kanada, den USA und Europa. "Mein Orden fragte mich, ob ich für fünf Jahre nach Europa gehen würde", erzählt Pater Binish. Es wurde Deutschland, es wurde Dülmen. Im Bistum Münster arbeiten vier Ordensbrüder von ihm – in Rheine, Bocholt, Südlohn und Alpen (Kreis Wesel). Die Männer treffen sich oft.
Indische Traditionen
Pater Binish erzählt, wie seine Familie Weihnachten feierte, als er ein Kind war. "Wir hatten immer einen Plastikbaum", sagt er, "der mit Sternen geschmückt wurde." Die deutsche Tanne findet er indes viel schöner. "Viele indische Christen hängen bunte Lichterketten an die Bäume, die sie zur Verfügung haben: Palmen. Bananenstauden, Mangobäume. Hauptsache, farbenfroh. Am Heiligabend besuchten die Sternsinger von nachmittags bis kurz vor Mittemacht alle Häuser der Gemeinde. Sie sangen die Botschaft der Engel, die diese dem Evangelium nach den Schäfern und Hirten verkündeten. Um Mittemacht versammelten sich alle Gläubigen, auch Familie Arackal, in der Kirche. Zuerst gab es ein Krippenspiel, dann feierten die Gläubigen die Heilige Messe. So ist es bis heute.
Pater Binish verbringt Weihnachten schon seit 20 Jahren fern der Familie und fern der Heimat. Seit er mit 15 Jahren ins Priester-Seminar aufgenommen wurde. Zunächst lebte er einige Jahre als Priester-Assistent seiner Missionskirche im Bundesstaat Kamataka. "Schon einige Stunden von zu Hause weg", sagt Binish Arackal. Und da ein Priester keinen geregelten Urlaub hat und an Weihnachten wohl immer arbeitet, fuhr er nur selten nach Hause. 2006 wurde er Direktor an einer Schule für geistig behinderte Kinder in Mandya, Kamataka. Da feierte er mit ihnen Weihnachten.
Und in diesem Jahr? "Um 17 Uhr halte ich die Christmette im Anna-Katharinen-Stift für behinderte Menschen. Danach gehe ich nach Hause", sagt Pater Binish. Er wird die Kerzen an seinem Adventskranz anzünden und dann mit Gott und der Welt und seinen Eltern skypen. "Ich bin also nicht allein", sagt er mit einem Augenzwinkern.

Anreise ganz ohne Wintersachen –  Die Dülmener haben Binish Arackal sehr freundlich aufgenommen
Am 19. Oktober 2012 kam Binish Arackal nach Deutschland – mit nur einem Koffer. Darin – "sicher keine Wintersachen, die gibt es bei uns im Süden Indiens gar nicht", sagt er und lacht. Also musste er hier als erstes warme Kleidung kaufen. Eine Wohnungseinrichtung, die konnte sich der Priester indes nicht leisten – schließlich schicken er und seine Ordensbrüder ihr Gehalt zum Großteil ihrem Orden.
Pfarrer Markus Trautmann von der St.-Viktor-Gemeinde organisierte daher kurzerhand eine Spendenaktion. ,,Als ich erstmals zu Besuch nach Dülmen kam, da war die Wohnung leer", erinnert sich Pater Binish. "Einige Wochen später, als ich einzog, war alles eingerichtet."
Darüber, dass die Menschen so viel für ihn gegeben haben, freut er sich sehr. Seine Einrichtung ist nun ur-deutsch und rustikal.
Aber Binish Arackal fühlt sich sehr wohl. In seiner Wohnung, in Dülmen, in Deutschland. Die Dülmener haben ihn akzeptiert, kommen in seine Gottesdienste, sprechen ihn auf der Straße an. Eines ist Pater Binish in seinem Jahr Deutschland aber doch aufgefallen. "Obwohl sie wenig Geld und Wohlstand haben, scheinen die Menschen in Indien glücklicher zu sein als hier."

Drittgrößte Religion
Indien ist flächenmäßig das siebtgrößte Land der Erde und mit etwa 1,2 Milliarden Menschen das zweitbevölkerungsreichste. Bei der letzten Volkszählung 2001 lebten etwa 24 Millionen Christen, die meisten von ihnen Katholiken, in Indien. Nach dem Hinduismus und dem Islam ist das Christentum damit die drittgrößte Religion in dem Land. Die christliche Bevölkerung ist ungleichmäßig über ganz Indien verteilt.