Wie nach 76 Jahren ein Zufallsfund das Schicksal zweier Soldaten aufklärte

Die kleinste, offizielle Kriegsgräberstätte in Deutschland? Die befindet sich in Merfeld. Hier ruhen Horst Ullmann und Otto Schulz. Die beiden Männer waren am 26. März 1945 mit ihrem Flugzeug im Bereich der Lavesumer Straße abgeschossen worden - so zumindest jahrzehntelang die Überlieferung im Dorf. Nur: Diese Erzählung stimmt nicht. Was wirklich mit ihnen geschah, davon berichtet seit dieser Woche eine Gedenktafel an den Gräbern. Genau 76 Jahre nach dem Tod der beiden Soldaten erzählt sie ihre Geschichte.
Hildegard Stegehake, Paul Frerick, Justin Maasmann und Pfarrer Markus Trautmann haben sich auf dem Friedhof versammelt. Das Quartett berichtet, wie es in den vergangenen Monaten dem Schicksal von Ullmann und Schulz nachgespürt hat. Tatsächlich, so sagt Maasmann, habe die Pandemie diesmal zumindest einen positiven Aspekt gehabt. „Die ganze Corona-Geschichte hat uns mehr Zeit gegeben, alles gründlich aufzuarbeiten.“ Denn eigentlich sollte die Gedenktafel bereits 2020, 75 Jahre nach Kriegsende, angebracht werden. Eine Gedenkveranstaltung war geplant, als die Pandemie für eine Absage sorgte.

Nachfragen von Trautmann hatten bereits zuvor dazu geführt, dass sowohl Maasmann als auch Stegehake begannen, bei Zeitzeugen nach den Geschehnissen in diesen letzten Kriegstagen in Merfeld zu recherchieren. Und zunächst, so erläuterte Maasmann, schien sich die Erzählung vom Flugzeugabsturz zu bewahrheiten. Bis einer der Befragten, der als Kind nach dem Krieg nahe der Lavesumer Straße aufwuchs, davon berichtete, dass die Soldaten nicht abgestürzt seien, sondern in ihrem Auto von Tieffliegern getötet worden waren.

Um weitere Auskünfte zu bekommen, schrieb Trautmann sowohl die Kriegsgräberfürsorge als auch die Wehrmachtsauskunftsstelle an - ohne Erfolg. Die Idee dahinter: Herausfinden, zu welcher Waffengattung Ullmann und Schulz gehörten. Neben der Aussage des Zeitzeugen fand sich in den Dülmener Heimatblättern ein Hinweis, dass sie wohl nicht zur Luftwaffe gehörten - der Tod bei einem Absturz also unwahrscheinlich war. Und zumindest das sollte auf der Gedenktafel stehen.

Doch dann bekamen Trautmann, Maasmann und Stegehake überraschend Hilfe: Als die drei sich am Grab treffen wollten, baten sie Paul Frerick dazu. Denn der Merfelder, langjähriges Mitglied im Kirchenvorstand, kümmerte sich jahrelang um den Friedhof. Vor dem Treffen stöberte Frerick im Pfarrarchiv - und stieß hier auf Briefe von Merfelds einstigem Pfarrer Josef Wieling. Briefe an die Familien von Horst Ullmann und Otto Schulz. Briefe, die keinen Zweifel mehr am Schicksal der beiden Männer lassen.

So hatten Oberstleutnant Ullmann, 49 Jahre alt, und sein vier Jahre jüngerer Fahrer, Obergefreiter Schulz, Ende März ihr Quartier in Lavesum aufgeschlagen. Am 26. März inspizierte Ullmann die ihm unterstellte „Frontleitstelle“ in Merfeld. Trotz der Warnungen der Soldaten (es seien gerade viele Tiefflieger unterwegs) fuhren sie noch im Hellen zurück nach Lavesum. Ungefähr auf halber Strecke griffen Tiefflieger an, die Soldaten wurden tödlich verwundet. Kurz vor Ostern setzte man sie auf dem Merfelder Friedhof bei. „Das zerschossene Auto lag noch im Januar 1946 im Graben“, ergänzt Frerick.

„Der Fund im Pfarrarchiv war der Schlüssel“, freut sich Trautmann. Akribisch habe der einstige Pfarrer Wieling den Schriftverkehr mit den Angehörigen abgeheftet. Interessant war vor allem ein Brief des Pfarrers an Ullmanns Witwe aus Januar 1946. Anneliese Ullmann hatte wegen einiger Ungereimtheiten zum Tod ihres Mannes die Hoffnung, dass eine Verwechslung vorlag. Daher bat sie den Pfarrer um Details. Der erfüllte diesen Wunsch - und schildert ausführlich, was an jenem 26. März 1945 auf der Straße von Merfeld nach Lavesum und im Anschluss mit den Leichen geschehen war. Auch war es Wieling, der den hochbetagten Eltern von Otto Schulz, die bei Uelzen lebten, im Dezember 1945 vom Schicksal ihres Sohnes berichtete. Deren Antwort-brief zeigt deutlich, wie viel es ihnen bedeutete, dass die „quälende Ungewissheit“ endlich ein Ende habe. Und Wieling versicherte den Angehörigen, dass die Merfelder sich um die Grabpflege kümmern würden.

Das tut die Gemeinde bis heute - und hat jetzt zusätzlich die auf einem Stein befestigte Gedenktafel aufgestellt. Einerseits, um die wahre Geschichte der beiden Verstorbenen zu erzählen, so Hildegard Stegehake. Und andererseits soll Deutschlands kleinste Kriegsgräberstätte „die nachfolgenden Generationen zum Frieden mahnen“, wie es auf der Tafel heißt.

Das Gelübde
Bereits während der Dankprozession im vergangenen Jahr war erstmals über die neuen Erkenntnisse zum Tod der beiden Soldaten berichtet worden. Die Prozession, die immer zehn Tage nach Pfingsten stattfindet, geht zurück auf ein Gelübde von 1944, dass die Merfelder auf Drängen von Pfarrer Josef Wieling abgelegt hatten: So sollte die Prozession ein Dank dafür sein, falls Merfeld im Krieg verschont bleiben würde. Was die Häuser anging, so stimmte dies auch, berichtet Markus Trautmann. Aber: Rund 90 Dorfbewohner starben im Zweiten Weltkrieg, was rund zehn Prozent der Einwohner Merfelds entspricht. Nirgendwo sonst in der Region sei der Anteil der Kriegstoten an der Gesamtbevölkerung so hoch gewesen, ergänzt der Pfarrer.

 

Bericht und Bilder der Dülmener Zeitung, Kristina Kerstan

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